Topf, 1984

Topf, 1984, Peter  Fischli / David Weiss

Der grosse Topf mit seinem Durchmesser von 2 Metern und seiner Höhe von 135 cm könnte einige Menschen in sich aufnehmen. Was ist seine Bestimmung? Statt ‚aus gross macht klein', wie im Werkkomplex Plötzlich diese Übersicht, nun ‚aus klein macht gross'. Charakterisiert eine verdrehte Massstäblichkeit den leeren Topf? Handelt es sich um eine Topf-Geburt, wo sich Projektionen niedergelassen haben? Aus dem üblichen Kontext, den gewohnten Bedeutungen und Dimensionen herausgerissen - wie dies im Werk von Fischli / Weiss geradezu „Norm" ist -, ist der Topf aus Polyurethan, einem fügsamen Hartschaum, dessen sich Millionen Eigenheimer und Hobbykünstler für ihre feierabendlichen Basteleien bedienen, geschaffen. Die äusseren und inneren Topfwände sind mit Leinwand verkleidet und von einer malerischen, landschaftlich bewegten Atmosphäre überzogen. Sie können kaum in einem Blick erfasst, sondern müssen vielmehr erahnt werden. Jean-Christophe Ammann spricht von der Mutter Erde, an die das dickbäuchige Gefäss und ihre malerische Ein- und Auskleidung erinnert und letztlich ihr Geheimnis für sich behält. Patrick Frey beschreibt, dass der Topf von einem Abbild der Welt gefüllt ist: am Boden das Flachrelief einer Landschaft, an den Innenwänden ein sehnsüchtig glühender heller Himmel, auf den Aussenwänden das dramatische Panorama eines blau-rot-dunklen Himmels und weiter unten an Magma erinnernde Farbenglut mit rauchigen Gebilden. Einfach ist es nicht, das Innere des Topfes visuell zu geniessen, da er als Kunstwerk nicht erklimmbar ist und seine Höhe eine bequeme Einsicht in das „Rätsel der Welt" (Peter Burri) verhindert, also sein Geheimnis nicht leichthin preisgeben möchte und somit in seiner romantischen Vision des Unvereinbaren aufgeht. So äugt man in den gewaltigen Krug wie über den schulterhohen Rand eines Vulkans und wird sich gewahr, dass das Äussere der Welt sich nun wohl im Innern des Topfes befindet, währenddessen das Innere nach aussen gestülpt wurde und die Welt zum Topf wurde.

Im Büchlein zum Film Der geringste Widerstand, wo die Künstler den Sinn des Lebens erklären, ist zudem nachzulesen, dass unter dem Bewusstsein die Schicht des Schlafes liegt, die das Unbekannte umgibt. Diese unbekannte Welt der Empfindungen wird von hellroten bis ins Blauschwarze reichenden Farbensymphonien ausgedrückt. Und zugleich symbolisieren die Farben der Melancholie, Rot und Blau, das Temperament des Künstlers, womit Fischli / Weiss dem altbekannten Künstlermythos die Ehre erweisen.

Der Topf in der Sammlung steht im Zusammenhang mit einem grösseren Werkkomplex und  Themenbereich des Künstlerduos: Es existiert ein weiterer ähnlicher Topf, der kurz danach entstanden ist, der sogenannte Fragentopf, der nicht bemalt, aber randvoll mit Fragen gefüllt ist. Es sind Fragen, die sich jeder ab und zu stellt und die bei weiteren Arbeiten der Künstler in vielzähligen Variationen zu finden sind, stets mit dem Bemühen, den Mechanismen des Alltäglichen auf der Spur zu bleiben: „Ist das Leben ein seltsames Höhlensystem?" „Gibt es zuviel des Guten?" oder „Driftet alles auseinander?" „Wie wirke ich?" „Suche ich zu weit?" „Soll ich untertauchen?" oder „Bin ich ein Sonderling?" „War ich ein gutes Kind?" „Was denkt mein Hund?" „Wo ist mein Bett?" Es sind keine Wissensfragen, sondern Fragen, die unbeantwortet bleiben müssen, vielleicht auch, weil sie so simpel klingen. Dennoch suchen sie in ihrer pragmatischen, alltäglichen Art die Welt und das Leben zu fassen und somit eine gewisse Ganzheit, ähnlich wie in der malerischen Vision unseres Topfes, anzustreben.

EMJ

 

 

 

Künstler
Peter Fischli / David Weiss
Gattung
Skulptur
Material
Polyurethan, Leinwand, Acryl
Masse
H 135 cm, ø 200cm
Standort
321
Inventarnummer
Pl 03.007
Credits
Schenkung Stiftung Kunst Heute, 2003
Provenienz
Ankauf 1984 bei den Künstlern
Ausstellungsgeschichte

Das Werk wird gemeinsam mit dem Fragentopf 1985 anlässlich einer Einzelausstellung von Fischli / Weiss in der Kunsthalle Basel sowie im Groninger Museum Groningen ausgestellt.

Literatur

Weitere Infos